Groko ignoriert eigene Berater*innen: Kein gesundes Essen mit Hartz IV
Hartz IV reiche nicht aus für eine ausgewogene Ernährung, sagen Berater*innen im Agrarministerium. Das Arbeitsministerium sieht das anders.
![Ein ausgelöffelter Suppenteller auf einem Tablett Ein ausgelöffelter Suppenteller auf einem Tablett](https://taz.de/picture/4783167/14/Hartz-IV-essen-gesundheit-1.jpeg)
Es geht dabei um eine Empfehlung des wissenschaftlichen Beirats des Landwirtschaftsministeriums. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Gutachten für eine „Politik für nachhaltigere Ernährung“ vorgelegt, in dem es eindringlich heißt: „Die derzeitige Grundsicherung reicht ohne weitere Unterstützungsressourcen nicht aus, um eine gesundheitsförderliche Ernährung zu realisieren.“
Das Gremium attestierte sogar: „Auch in Deutschland gibt es armutsbedingte Mangelernährung und teils auch Hunger“. Folgerichtig seien „im Sinne einer den Nachhaltigkeitszielen verschriebenen Politik die Berechnungsgrundlagen und -methoden der Regelbedarfsermittlung zu überprüfen“.
Die Bundesregierung scheint aber nicht daran interessiert zu sein, diesen Ratschlag umzusetzen. Sie schreibt in der Antwort auf Lehmanns Anfrage, man sehe keinen Überprüfungsbedarf. Die Aufgabe der Regelbedarfsermittlung sei auch im Bereich Ernährung, „dass existenzsichernde Leistungen beziehende Menschen so gestellt werden wie alle einkommensschwachen Haushalte“.
Konkret bedeutet das: Gesunde Ernährung sicherzustellen sei gar nicht das Ziel. Die Regelsätze sollen nur die – sehr knappen Mittel – der untersten Einkommen widerspiegeln. Allerdings werden in der Grundsicherung noch einige Ausgabenposten herausgerechnet.
5,09 Euro täglich für Essen
Für den Grünen-Politiker Lehmann ist die Antwort der Bundesregierung „ungeheuerlich“: „Es muss der Anspruch der Bundesregierung sein, dass alle Menschen finanziell so abgesichert sind, dass sie sich gesund ernähren können“, sagte er der taz. Die Regelbedarfsermittlung müsse entsprechend reformiert werden.
Der Regelsatz liegt aktuell für Alleinstehende bei 446 Euro im Monat. Neben Erwerbslosen müssen auch Kinder, Menschen mit Behinderung oder altersarme Menschen ihr Leben von der Grundsicherung bestreiten. Für Lebensmittel und Getränke sind für Singles dabei aktuell rund 5,09 Euro täglich als Ausgabenposten vorgesehen. Für Kinder und Jugendliche sowie Menschen in Paarhaushalten liegt der Betrag noch niedriger.
Damit könne man sich nicht gesund ernähren, betont die Soziologieprofessorin Sabine Pfeiffer von der Universität Erlangen-Nürnberg, wo sie zu Ernährungsarmut in Deutschland forscht. „Gerade wenn Menschen länger im Bezug sind, stellt das für sie ein manifestes Problem dar. Eine kurze Zeit kann man mit so wenig Geld über die Runden kommen, aber umso länger man die Grundsicherung bezieht, desto weniger leicht lassen sich anfallende Posten ausgleichen.“
Pfeiffer fordert entsprechend eine Erhöhung der Regelsätze. „Dass wir sagen, hier muss keine oder keiner verhungern, kann in einem Land wie Deutschland nicht der Maßstab sein.“ Ernährung sei kein Luxusthema, betont die Forscherin.
Die SPD hat sich der Regelsatzermittlung in ihrem Wahlprogramm-Entwurf angenommen. Dort heißt es jedoch nur vage: „Die Kriterien zur Regelsatzermittlung werden wir weiterentwickeln und Betroffene und Sozialverbände miteinbeziehen.“
Nach einer verbindlichen Aussage, ob das auch eine Erhöhung der Leistungen nach sich ziehen soll, sucht man jedoch vergeblich.
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